4. Juni 2013
Vladimir ist Frühaufsteher. Bereits um halb sechs ist sein bellender Raucherhusten im Gang zu vernehmen. Die halbe Lunge scheint jeweils ‚obsi’ zu kommen, wenn er zu einer neuen Runde ansetzt. Wie so viele Raucher wüsste auch er (als Arzt sowieso), dass es gesündere Hobbies gäbe. Er rauche nur noch drei Zigaretten pro Tag, meint er mit einem Achselzucken, und hebt dabei die Hand wie weiland unsere tapferen Eidgenossen beim Rütlischwur. Ob drei ausgestreckte Finger hier in Russland das Gleiche bedeuten wie bei uns? Jedenfalls liegt Vladimir’s Konsum klar näher bei 30 als bei besagten drei Zigaretten. Aber was soll’s? Im Grunde genommen ist er wirklich ein total netter Kerl. Und dass er nachts gesägt hat wie ein sibirischer Waldarbeiter und zwischendurch lautstark Wind abgelassen hat, kann ich ihm insofern nachsehen, als ich ja ohnehin die halbe Nacht kein Auge zugetan habe. Der Grund: die Bettlänge in der Transsib ist für meine Grösse eindeutig zu kurz. Es fehlen ein paar Zentimeter. Nicht viele zwar, aber die Entscheidenden. Wenn man(n) mit dem Kopf am einen und mit den Füssen am andern Ende anstösst, ist – für mich jedenfalls – an einen geruh- und erholsamen Schlaf nicht zu denken (mein Schatz kann ein Lied davon singen). Und bei einer Bettbreite von gerade mal 60 cm ist natürlich auch der Versuch, diagonal zu Schlafen zum Scheitern verurteilt.
Derweil ist Vladimir , wie gesagt, bereits wieder aktiv – das Frühstück will vorbereitet sein. Und erneut staune ich, was in einer simplen russischen Reisetasche so alles Platz hat. Vladimir greift blind hinein und fördert ein paar Plastik-Säcke zutage. Nach einem kurzen prüfenden Blick auf die Auslage entscheidet er sich spontan für Kartoffelstock aus der Dose, Sardellenfilet und Tomaten. Zum Frühstück wohlverstanden! Ob der schieren Menge, die er da auf dem Tisch ausbreitet, scheint er dann aber doch ein wenig unsicher zu sein, und so kann ich mich – fürs Zmorge jedenfalls – mit meinen (aneinanderklebenden) Kägi-Frett und je einem Ballisto-Riegel mit ins Spiel bringen. Dazu gibt’s Tee mit Zitrone (mit fünf Stück Zucker für Vladimir). Wir sind mit uns und der Welt und dem, was auf dem Tisch liegt erst mal zufrieden und schauen durch die Zugfenster, wo noch immer der gleiche Film läuft wie gestern: Birken und Föhren am Laufmeter. Mir kommt ein deutscher Schlager in den Sinn: „Einsamkeit hat viele Namen“, hiess der Titel. Ich denke, der Texter könnte hier seine Inspiration geholt haben. Genau hier.