5. Juni 2013
Novosibirsk. Endstation für Vladimir. Am Bahnhof erwartet ihn seine Frau Galina, mit der er – wie er stolz anmerkt– schon 40 Jahre lang erfolgreich (!) verheiratet ist. Die Begrüssung der beiden Turteltauben fällt entsprechend herzlich aus. Ich schiesse noch schnell ein Bild und verabschiede mich dann. „Do-swidanja, Vladimir“, es war inspirierend, einen Teil der Transsib mit Dir gereist zu sein.
3303 km haben wir seit Moskau mittlerweile zurückgelegt. Der Blick durchs Fenster hat sich dabei nicht wesentlich verändert. Die Landschaft ist weitgehend die gleiche geblieben. Einzig die weiss-blühenden wilden Apfel-Bäume haben zwischenzeitlich etwas Farbe ins Spiel gebracht. Ab und an zieht eine Siedlung vorbei, mit unverputzten braun-grauen Häusern., Hie und da eine Ansammlung von ein paar einsamen Datschas (Wochenendhäusern). Ansonsten herrscht meist das Grün von Föhren und Birken und weiten leeren Gras-Steppen vor.
Im Zug ist es ruhig geworden. Einige vertreiben sich die langen Stunden mit Lesen und/oder Schreiben. Andere mit Tee-Trinken und Aus-dem-Fenster-Schauen (man weiss ja nie: es könnte ja vielleicht doch mal etwas anderes kommen, als das, was man schon x-mal gesehen hat) .
Bei mir ist ein neuer Vladimir eingezogen. Ob er tatsächlich so heisst, weiss ich nicht, denn der Kerl ist äusserst mundfaul. Nicht mal ein „Dobry den“, hat er über die Lippen gebracht, als ich ihm die Hand entgegenstreckte. Was ja doch das mindeste wäre, oder? Ich kann’s nicht ändern: der Typ ist mir nicht wirklich sympathisch. Ein Geschäftsmann, vermutlich, mit zwei Handys, von denen er das eine ständig am Ohr hat und das andere ständig am Suchen ist (weil er vergessen hat, dass er es zum Aufladen in die Stromdose unter dem Tisch gesteckt hat). Aufgeblasener Wichtigtuer! Ich ertappe mich beim Gedanken, wieviel lieber ich ‚meinen’ Vladimir wieder zurück hätte – trotz Raucherhusten, Furzen und Schnarchen.
Um die Runde der heutigen Ärgernisse abzurunden, hat in Novosibirsk dann auch noch eine spezielle Frauentruppe unseren Zug geentert. Drei imposante Gestalten. Keine davon unter 90 Kilo. Wenn sich zwei davon im Gang breit machen, wird die Luft extrem dünn. Als fleischgewordenes Bollwerk stehen sie da und blockieren den Durchgang, wie eine Thrombose den Blutfluss. Und als ob das nicht schon genug wäre, hat jede der Tanten noch eine übergrosse Tasche mit dabei, aus denen sie (ächzend und schnaufend) allerhand Tand herauskramen, um diesen gewinnbringend an die Leute im Zug zu verhökern. Und wenn sie dann (gottseidank!) endlich durch den Wagen durch sind, treffen sie sich im Durchgang zwischen den Wagons wieder. Zur Lagebesprechung. Und um zu rauchen. Dann geht gar nichts mehr. Den Wagon dahinter kann man dann quasi vergessen. Von der Umwelt abgeschnitten! In einer dicken Wolke aus Zigarettenrauch, Achselschweiss und billigem Parfum, parkieren sie da, rauchen ihre billigen Zigaretten – und diskutieren. Laut. Sehr laut. So laut jedenfalls, dass man – trotz Zuglärm und geschlossener Abteiltür – das Gefühl nicht los wird, als stünden sie kurz davor, sich gegenseitig aus dem Zug zu schmeissen. Was mich zur fiesen (sorry!) Überlegung verleitet, dass sich dadurch dann wenigstens das Blockade-Problem von ganz alleine auflösen würde… .