8. Juni 2013
13:40. Ich stehe am Pier und warte. Ein Tragflügelboot soll mich heute von Listwjanka nach Bolshie Koty bringen. Ein Tragflügelboot? Noch nie gehört sowas. Und vorstellen kann ich mir im Moment auch nichts darunter. Kurz vor 14 Uhr rauscht das Ding dann heran. Und jetzt ist alles klar: das Schiff hat seitlich am Rumpf zwei Flügel, die aussehen, wie die Flossen bei „Flipper“. Und mit diesen zwei Flügeln lupft sich das Schiff dann quasi aus dem Wasser, wodurch es weniger Wasser-Widerstand hat und damit schneller ist. Was es nicht alles gibt? Ich gehe an Bord und erhalte einen Fensterplatz zugewiesen. Dann geht’s los. Der Käpt’n wirft den Gang rein, und schon geht die Post ab. In vollem Caracho fräsen wir über die Wellen des Baikals und lassen eine breite weisse Gischt zurück. Zurückgelehnt in meinem weichen Sessel geniesse ich die Fahrt in vollen Zügen. Leider ist das Vergnügen nur kurz, nach etwa 20 Minuten ist bereits wieder vorbei mit der Bolzerei. Bolshie Koty, das kleine Fischerdorf, liegt achtern voraus. Erreichbar ist es nur auf dem Seeweg oder zu Fuss. Eine Strasse führt keine hierher. Macht es irgendwie sympathisch. Und ist es auch: ein paar Dutzend Holzhäuser (vom neuen Chalet bis zur völlig verfallenen Ruine) stehen hier einträchtig und scheinbar ohne festen Plan in der Gegend herum. Festgestampfte Karrenwege führen an hübschen Vorgärten und kleinen Plätzen vorbei, auf den Wiesen blüht noch der Löwenzahn, und dazwischen grasen ein paar freilebende Pferde. Eine richtige Idylle. Die nur hie und da unterbrochen wird von ein paar Jugendlichen, die mit ihren Quads (eine Art 4×4-Motorrad) laut knatternd um die Häuser fräsen.
Natacha und ihre Tochter Tanya – die Gastgeberinnen in Bolshie Koty
Ich werde von Natacha und ihrer Tochter Tanya in Empfang genommen. Natacha fällt einem sofort auf. Wegen ihrer feuerroten Haare, die sie hinten zu einem langen Zopf geflochten hat. Mit ihrem weichen, runden Gesicht entspricht sie so ziemlich meinen Vorstellungen einer richtigen Mamutschka. Natacha und Tanya sprechen beide recht gut englisch. Was die Verständigung natürlich um einiges einfacher macht. Ich erhalte mein Zimmer zugeteilt, und man macht mich mit der Hausordnung bekannt: im Haus nur mit Schlarpen, WC-Papier nicht in die Toilette, sondern in den speziellen Behälter daneben, Kaffee und Tee Selbstbedienung und als Letzter das Licht löschen. Des weitern erfahre ich, dass es um 15 Uhr Mittagessen gäbe – falls ich interessiert wäre. Natürlich bin ich das. Es sei aber nicht inbegriffen und koste daher etwas, meint Natacha fast ein wenig entschuldigend. Macht nichts. Ich habe Hunger.
Am Tisch sind wir dann zu Fünft. Natacha, Tanya und zwei junge Leute. Aus der Schweiz – wie sich wenig später herausstellt. Aus Aarau resp. Lenzburg, um präzis zu sein. Die Welt ist wirklich ein Dorf! Auch sie sind unterwegs in die Mongolei und dann nach China. Auf der exakt gleichen Route wie ich. Ob das daher kommt, dass sie beim gleichen Reiseanbieter gebucht haben? Sei’s drum. Wir geniessen das feine russische Essen, lachen viel und unterhalten uns dank der Verbindungssprache Englisch prächtig mit unseren netten Gastgeberinnen.