2. Juli 2013

Ganz vorne auf dem Vorschiff

Bei der grossen Ankerkette, ganz vorne im Schiff – da ist der schönste Platz!

Der vierte Tag auf See. Und noch immer ist das Wetter gut. Zwar ein paar Wolken am Himmel, aber weit weg. Wir haben eine Stunde verloren. Sind über Nacht in eine neue Zeitzone gefahren. „Bis Long Beach werden’s neun sein“, meint der Kapitän am Frühstückstisch. Und weiter: „Das macht den Leuten schon zu schaffen. Der Rhythmus stimmt dann einfach nicht mehr.“ Ich muss ziemlich skeptisch geschaut haben, denn er ergänzt: „Sie werden’s schon noch merken!“ – Schau’mer mal. Im Moment merke ich (noch) nichts davon, und eine Uhr, die einem ständig an die Zeit erinnert, trage ich ja eh keine mehr. Von daher kann mir also gar nichts passieren. Ich schenke mir noch eine Tasse Kaffee ein und stelle fest: Mir geht’s gut.

Gestern habe ich ‚ihn’ entdeckt – den schönsten Platz auf dem Schiff. Er liegt ganz zuvorderst, auf dem Vorschiff. Dort, wo man die grossen Ankerketten findet und wo im „Titanic“-Film der DiCaprio seiner Tussi gesagt hat, ob sie fühlen könne, wie sie fliege. Was natürlich völliger Quatsch war, aber die Szene kennt halt jeder. Ich weiss daher auch, wovon ich spreche. Am Bug vorne ist es vor allem deshalb so schön, weil es so ruhig ist. Das omnipräsente Dröhnen der Maschine liegt weit hinten, und das einzige, was man hier hört, ist der Wind und das sanfte Gurgeln des Wassers. Es ist richtig meditativ. Wenn’s jetzt noch ein Sprungbrett hätte, von dem man von Zeit zu Zeit ins tiefblaue Wasser springen könnte… .

Wir fahren auf südöstlichem Kurs an Japan vorbei. Auf meinem Handy hab’ ich wieder Kontakt zur Aussenwelt. Eine SMS an meinen Schatz zu senden klappt trotzdem nicht. Schade. Langsam zieht die Nacht herauf. Am Horizont türmen sich Wolken auf. Davor liegt eine breite Nebelbank. Und – es ist etwas kühler geworden. Eigentlich recht angenehm. Ich schnappe mir mein Bier, schaue hinaus auf die dunklen Wellen und denke: „Was will will man Meer!“