6. August 2013
Ein ereignisreicher Tag liegt vor mir. Entsprechend früh beginnt er. Um 3:30 scheppert der Wecker und reisst mich aus einem traumlosen Schlaf. Duschen, restliches Material packen und dann runter aufs „Poop Deck“ Richtung Ausgang. Trotz der frühen Morgenstunde sind einige Seeleute der „Rickmers Seoul“ bereits an der Arbeit. Riesige Blechtafeln und ein paar schwere Geräte warten darauf, mit dem grossen Hafenkran an Bord gehievt zu werden. Ein kurzer Händedruck, ein aufmunternder Klaps auf die Schultern, dann geht’s die Gangway runter. Ausserhalb der Hafenanlage wartet bereits mein nächstes Transportmittel: ein Autotransporter der Firma GALLIKER. Toni Mangold, der Fahrer, steht mit einem breiten Grinsen, die Hände in den Hosentaschen, vor seinem Laster und begrüsst mich in sympathischem Nidwaldner Dialekt. „Aha, Du bisch also dä värruggt Chaib“. Tut richtig gut, wieder mal Schweizerdeutsch zu hören. Schnell sind die Koffern verstaut, und ich schwinge mich in den Beifahrersitz. Ein letzter Blick auf die wie ein Christbaum beleuchtete „Rickmers Seoul“ – dann sind wir unterwegs. Es ist 04:10 – es geht nach Hause.
Toni und ich sind sofort in angeregte Gespräche vertieft, und so erfahre ich viel über das Leben eines Chauffeurs und die Situation(en) auf den Strassen. Und auch hier zeigt es sich (wieder einmal) in aller Deutlichkeit: die gute alte Zeit – sie ist auch in dieser Branche längst vorbei. Rendite, Tempo und immer neue Gesetze bestimmen heute das Leben der ehemaligen „Kapitäne der Landstrasse“. Ernüchtert stelle ich fest, dass von meinem ehemaligen Bubentraum (Lastwagen-Fahrer) nicht mehr viel übriggeblieben ist. Und trotzdem – Toni möchte nichts anderes. „En Job imä Biiroo? Chasch grad vergässä!“, sagt er mit Nachdruck. Ich glaub’s ihm aufs Wort. Toni gehört hinters Steuer. Da ist er zu Hause. Auch wenn er sich hie und da „iiber die Tuble“ enerviert, die „nid amal än Tempomat chend bedienä“. Und während wir uns weiter angeregt über „Halbschüe“, „tummi Chaibe“ und andere wichtige Themen unterhalten, rutscht Kilometer um Kilometer unter unserem Laster durch, und eh’ wir uns versehen, stecken wir – im Stau. Aber in einem, mit dem Toni gerechnet hat: der ‚normale’ Sommerstau in Strassbourg. Drei Spuren verjüngen sich zu einer. Das muss zu Stau führen.
„Diä cheiba Oschtblöckler händ na nia eppis vu Riissverschluss gheert“, poltert Toni los, als ein paar Autos vor uns in die Spur zwängen. Knapp eine halbe Stunde kriechen wir durch die Gegend, dann liegt der Stau hinter uns. Ohne weitere Zwischenfälle geht’s anschliessend weiter Richtung Grenze. Die Verzollung in Basel „isch ä chliini Sach“, und dann ist es soweit: nach fast zwei Monaten habe ich erstmals wieder Schweizer Boden unter den Füssen resp. den Rädern.
Ich rufe Victor und Hans an und koordiniere mit ihnen die Schlussfahrt nach Bern („Mer send parat!“). Toni setzt mich in Egerkingen ab, beim ehemaligen Motel. Gepäck ausladen, ein Händedruck, ein grosses Merci, und schon sieht man von Toni und seinem typisch roten Galliker-Lastwagen nur noch die Rücklichter.
Hans Aebi und sein „Schätzeli“
Ich warte. Auf Hans Aebi, der mir angeboten hat, mich mit seinem alten Ford-A aus dem Jahre 1931 nach Bern zu bringen. Und tatsächlich dauert es nicht lange, bis das knatternde Geräusch des 3-Zylinders zu hören ist. Während wir mein Gepäck auf der Rückbank verstauen, recken die Leute im Gartenrestaurant die Hälse. So ein Auto sieht man schliesslich nicht alle Tage. Wir fahren los. Auf Nebenstrassen, quasi „ussenume“ nach Bern. Ich geniesse die Fahrt in vollen Zügen. Was auch daran liegt, dass (bei diesem heissen Wetter) nicht nur die Seitenfenster für Durchzug sorgen, sondern auch die Frontscheibe, die sich bei diesem Auto einen Spalt breit nach vorne aufklappen lässt. „Dasch äbe no ä mechanischi Klima-Aalag“, lacht Hans und schaltet einen Gang höher, was das Getriebe mit einem lauten Knirschen quittiert.
So blochen wir mit gut 60 kmh Richtung Bern, geniessen die ‚luftige’ Fahrt und die bewundernden Blicke der Fussgänger bei jedem Rotlicht. „Me isch äbä no öpper i some Chare“, meint Hans verschmitzt, als eine ältere Dame (vermutlich gleicher Jahrgang wie das Auto) stehen bleibt und den Ford von oben bis unten mustert, als wär’s ein teures Büffet.
In Bern selber geht’s dann rund. Im wahrsten Sinne des Wortes. Via ein paar unvorhergesehene Einbahnstrassen pirschen wir uns langsam ans Bundeshaus heran, und es braucht das geografische Insiderwissen von ein paar Einheimischen, bis wir schliesslich dort stehen, wo wir im Grunde genommen immer hinwollten: auf den Bundesplatz. Womit das Ziel meiner Reise endgültig und unwiderruflich erreicht ist. „Freude herrscht!“.
Auch hier sind Hans und sein Auto sofort von Neugierigen umringt. Das Bundeshaus spielt nur noch eine Nebenrolle. Während er sich geduldig abfotografieren lässt und (als routinierter Auto-Verkäufer, der er ist) Fragen zu seinem Auto beantwortet („Ja, är isch Original“. „Nei, dä hett e kei Katalysator“, „Ja, dä fahrt mit Bänzin“), unterhalte ich mich mit Urs Steiner, dem Mann von GLOBOSHIP, der meine Schiffsreisen organisiert hat. Sein Büro liegt nur wenige Meter entfernt, weshalb er es sich nicht nehmen lassen wollte, schnell rüber zu kommen und „Grüezi“ zu sagen. Leider hat er nicht allzu lange Zeit. Der Zug wartet. Auch Hans sollte weiter. Die dunklen Wolken am Himmel geben ihm ein wenig zu denken – das Verdeck seines Wagens ist nicht mehr ganz (wasser-)dicht. Also dann: Tschüss Hans, „heb Sorg bim Heifaahre und pass uf dRadarfalle uuf…“.
So stehe ich also mit meinen „Bagasch“ da und warte, und schaue den Kindern zu, die, nass bis auf die Haut, aber quietschend vor Freude mit den Fontänen des Brunnens auf dem Bundesplatz spielen. Und dann (endlich!) ist der Moment da: in einem weissen Sommerkleid, das sich kontrastreich von ihrer sonnengebräunten Haut abhebt, kommt mein Schatz über den Platz gelaufen, und wenig später liegen wir uns in den Armen. Jetzt ist alles gut – ich bin wieder zu Hause.